Falten


2019

Sandstone

400 x 120 x 100 cm

Sculpture trail in the Our valley, Germany


Das Gelände, das unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist eine weite Grünfläche. Sie ist strukturiert und rhythmisiert von Tälern und einem Netz aus Pfaden. Es handelt sich hier um eine Kontaktzone, in der sich die geologische Zeitrechnung mit jener der Menschheit und ihrer Artefakte überlagert. Sichtachsen leiten den Blick in die Ferne, Lichtungen und Skulpturen unterbrechen den Weg der Spaziergängerin und laden zur Bewegung und Versammlung ein.


An einer Wegkreuzung liegt ein riesiger Stein. Er lässt uns an seine monolithischen Vorfahren denken. Einst wurde er aus seinem felsigen Bett gelöst und zu einem rohen Quader geschnitten. Nun ruht der rote Sandstein halb im Erdreich verborgen. Der Boden umfasst die Vertiefungen, Linien und Furchen, die von Alison Darby unter hohem Körpereinsatz und zugleich akribisch geformt wurden. Die Spuren ihrer Arbeit, die sich den Stein eingeschrieben haben, verbinden sich mit denen, die von anderen in der Umgebung hinterlassen wurden – in dieser von Menschen geformten Landschaft. Die große Steinplatte ist gefaltet, als würde sich Straßenpflaster unter einem Teppich verbergen, oder als hätte die Erde sie halb verschlungen. Falten.


Die in Berlin lebende Künstlerin Alison Darby beforscht genau solche Felder, urbane Archäologien und Territorien, die Spuren menschlichen Wirkens aufweisen. Sie richtet ihren Blick auf den Boden und unterzieht das Kopfsteinpflaster, die Textur der Stadt, die Spuren im Asphalt einer genauen Betrachtung – so in ihrer Arbeit Sous les pavés la plage – um „in die Verklebung der Dinge ein[zu]treten, Dingansammlungen [zu] erforschen – formlose Haufen von allerlei Gegenständen – , um in ihnen eine Art organisches Leben, den materiellen Wirbel der Formen aufzudecken.“1. Ausgehend von Formen und Materialien fragt sie danach, was für diese Gesellschaft fundamental und prägend ist. Welche Muster und Mechanismen liegen unter den Oberflächen verborgen? Zum Beispiel der einer urbaner Brache in den Händen von Immobilienmarkt und Spekulation, wie im Fall des kollektiven Projekts DaWoEdekaMaWa2? Alison Darby untersucht Böden als Substrat von politischer Bedeutung und Träger von Formen poetischen „Nachlebens“3.


Der rosige Stein und seine hervortretende Morphologie bilden neuen topografischen Inhalt, der sich mit dem irdischen Gewebe verbindet. Zwischen Oberfläche und Schnittstelle agiert er als Verbindung zwischen der Luft und den Tiefen der Erde, zwischen Organischem und Mineralischem, zwischen Innen und Außen. Weist er auf einen Eingang hin, wie ein Bodenbelag oder Teppich, oder skizziert er einen Raum an einem Ort wie eine Art Metonymie für das Interieur? Der Stein lädt zum Sitzen und Bleiben ein. Indem er den Blick aus der Ferne auf seine mineralische Epidermis lenkt, nimmt er die Haut und ihre Falten unter die Lupe. Falten ist Alison Darbys Einladung, die Szenerie auf eine taktile Weise zu betrachten, die Landschaft gleichsam mit den Fingerspitzen zu erfassen. Die Skulptur „überschreitet die optische Nähe hin zur taktilen Intimität: es ist die Textur als solche (der Faltenwurf sozusagen), die das Bild durch den Kontakt hervorbringt.“4


Text von Marie DuPasquier

Aus dem Englischen von Stefanie Bringezu


1 Didi-Huberman, Georges, Ninfa moderna.Über den Fall des Faltenwurfs, Zürich: Diaphanes, 2006, S. 93 – Über Laszlo Moholy-Nagys fotografisches Werk.

2 DaWoEdekaMaWa entstand in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Sabrina Brückner und beinhaltete ein Projekt mit Anwohner*innen.

3 Ebenda, S. 31ff.

4 Ebenda, S. 93 – Über die Fotogramme von Laszlo Moholy-Nagy.