Oberflächen, urbane Archäologien und Territorien, die Spuren menschlicher Aktivitäten aufweisen,gehören zu den Schwerpunkten von Alison Darby. Ihre skulpturale Installation Chip (2024)untersucht den menschlichen Einfluss auf die Landschaft der Ryck-Wiesen – mit Augenmerk aufagrikulturelle Praktiken, die Einteilung von Landschaft und neuartige Bewirtschaftungsformenwiedervernässter Moore. Im Zuge ihrer Recherche untersuchte sie drei Phasen in der Geschichte derRyck-Wiesen, erstens den Boltenhäger Teich, der ab dem 12. Jahrhundert zu Fischereizweckeneingesetzt wurde, zweitens die Komplexmelioration [1] für Landwirtschaft zu DDR-Zeiten Ende der1960er-Jahre und drittens die zukünftig anvisierte Paludikultur, das heißt die nasse Bewirtschaftungvon Moorböden. Auf zwei langen Tischen präsentiert Darby in Chip skulpturale Spanplattenreliefs ausFasern von Paludikulturpflanzen wie Schilf, Rohrglanzgras und Segge. Die Spanplatte gilt als poveresMaterial, sie besteht aus gepressten Spänen unterschiedlicher Herkunft und Zeit, die mit Bindemittelgemischt wurden. Dieses barrierearme und alltagsnahe Material setzt Darby ein, um sowohl auf dieTransformationsgeschichte als auch auf die mögliche, wiedervernässte Zukunft der Ryck-Wiesen zuverweisen. In die Paludikultur-Spanplatten wurden Reliefs gepresst, deren Motive eng verbunden mitden Produkten aus der landwirtschaftlichen Nutzung der Ryck-Wiesen sind. Sie bestehen ausgemalten Fischernetzen, die an den Zeitraum vor der Entwässerung erinnern und aus Erdbeerreliefs,die an die Melioration und nachfolgende Erdbeerfelder im Steinbecker Vorstadt Polder zu DDR-Zeitendenken lassen. Manche ihrer reliefierten Bildträger enthalten in ihrer oberen Schicht Elemente ausErdbeertrestern[2], die einen fruchtigen Geruch verströmen. Das dritte Motiv sind frei stehende undgestapelte Norm-Transportkisten, etwa zum Transportieren von Obst und Gemüse. Mittels ihrerreduzierten Darstellung gelingt es Darby, auf die Geometrische Abstraktion in der Abstrakten Malereiund Bildhauerei und deren prägende Formprinzipien Reduktion, Wiederholung und Serialität Bezugzu nehmen. Bei genauerem Hinsehen lösen sich die Erdbeer-Ornamente zunehmend in dieAbstraktion auf und die Seitenwände der Normkisten werfen üppige Falten – das heißt die von Darbyausgewählten Formprinzipien werden sowohl spielerisch etabliert als auch wieder aufgelöst.Vergleichbar mit einer Verkaufspräsentation sind die Platten nebeneinander und übereinandergestapelt ausgestellt und weisen mitunter sogar für Transportbehältnisse typische Handgriffe undVertiefungen auf. Die Künstlerin re-erzählt die verflochtene Landschafts- und Industriegeschichte derRyck-Wiesen auf formaler, materieller und räumlich-körperlicher Ebene.
[1] Komplexmelioration: Hiermit sind Entwässerungs-Großprojekte zu DDR-Zeiten gemeint, die mit der Intensivierung derLandnutzung verbunden waren. Große Feuchtgebiete und Moore wie die Friedländer Große Wiese in Vorpommern oder dieAltmärkische Wische waren davon betroffen. Siehe z.B.: Hochschule Neubrandenburg, Institut für Umweltgeschichte undRegionalentwicklung, „Phase 1970-1982: Sozialistische Intensivierung in Land- und Forstwirtschaft“, URL:https://www.hs-nb.de/iugr/naturschutz-hat-geschichte/1970-bis-1982/intensivierung/ [letzter Zugriff: 01.07.2024]
[2] Als Trester werden die vorwiegend festen Rückstände von Obst, Gemüse oder anderen Pflanzenbestandteilen bezeichnet,die beim Entsaften übrig bleiben.
Text: Ulrike Gerhardt, Kunstwissenschaftlerin, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; assoziiertesMitglied des Sensing Peat Netzwerkprojekts der Michael Succow Stiftung.https://www.sensingpeat.net/